Führung

Predigt: Führen und geführt werden

Predigt zum Thema „Führen und geführt werden“

Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, dich zu behüten auf dem Weg und dich an die Stätte zu bringen, die ich bestimmt habe.“ 2. Mose 23.20

Dieser Text hat eine schlichte Schönheit und vermittelt Geborgenheit. Gott ist in der Person eines Engels gegenwärtig, sorgt dafür, dass kein Unglück passiert und zeigt den Weg zum Ziel. Das ist die Situation eines Geführt-Werdens, das im Einklang mit dem eigenen Wollen und mit den eigenen Zielen steht. Es ist die Situation einer Führung, die auf Fürsorge für die Geführten beruht und die Klarheit schafft über das Ziel, wohin die Führung gehen soll. In der Bibel ist diese als Gnadengeschenk empfundene Führung immer ein Thema. Sie sie ist ein zentrales Thema sowohl des Judentums als auch des Christentums. Ein sehr bekannter Text zu diesem Thema ist z.B. Psalm 23:

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Auf grünen Auen lässt er mich lagern, zur Ruhstatt am Wasser führt er mich. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechtem Pfade um seines Namens willen. (Psalm 23, 1-3)

Als Kontrast dazu ist auch die Führung im Sinne der Irreführung und Verführung ein wichtiges biblisches Thema. Paulus bringt es auf den Punkt: Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Geführt-Werden durch Gott oder das Verführt-Werden durch die Sünde. Man kann nur entweder Knecht Gottes sein oder Knecht der Sünde. Freiheit ist gleichbedeutend mit geführt werden durch Gott. Paulus steht damit nicht etwa isoliert als Erfinder einer eigenen Theologie da. Jesus selbst hat die Alternative ebenso deutlich formuliert: Niemand kann zwei Herren dienen. ... Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. (Math. 6.24)

Heute besteht in unserer Gesellschaft wieder ein ausgeprägter und im Grunde erstaunlicher Durst nach Führung. Nachdem das Wort Führer durch die totalitären Irreführer des 20. Jahrhunderts zu einem Wort mit Beiklang geworden ist und nachdem mit der Ideologie der Achtunsechzigerbewegung alle Autorität unter dem Generalverdacht der Verführung und Entfremdung stand, hat in den Neunziger Jahren die „Leadership“ vor allem in der Wirtschaftswelt eine ungeahnte Renaissance erfahren. „Führen und geführt werden“ sind Standard- und Modethemen jeder Managementausbildung, die etwas auf sich hat. Die antiautoritäre Beliebigkeit hat den Wert guter Führung wieder sichtbar gemacht. Und hinzu kommt, dass die Komplexität der modernen Welt die meisten Menschen überfordert, dass auch die Vielzahl von Wahlmöglichkeiten der freien Wirtschaft die meisten Menschen überfordert und deshalb eine Sehnsucht nach klaren Vorgaben, Wegweisern und Zielen im Dschungel des modernen Lebens gesucht werden.

Kehren wir aber zunächst zum Predigttext zurück. Der Text steht im Zusammenhang mit einer ausserordentlich schwierigen Krisensituation. Mose hat als von Gott berufener Führer nach einem harten Kampf mit dem Pharao das Volk Israel veranlasst,  Ägypten zu verlassen und ins gelobte Land Kanaan aufzubrechen oder vielmehr zu flüchten. Er hat das Volk Israel zum Aufbruch motiviert mit dem Versprechen von Freiheit und Selbstbestimmung und mit der Verheissung eines Landes, in dem Milch und Honig fliesst. Statt des gelobten Landes hat das Volk nun aber trotz einer bereits längeren Reise nur Wüste und Entbehrung gesehen und die Zweifel an den uneingelösten Versprechen und an den Führungsqualitäten von Moses führen zu ernsthaften Autoritätsproblemen. Das Volk hat Hunger und Durst, es beginnt zu Murren und sehnt sich zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Die Sklaverei und Fronarbeit, die mit diesen Fleischtöpfen verbunden war, blendet das Volk aus.

In dieser Krise offenbart sich Gott in dreifacher Weise. Das sind gewissermassen seine Sanierungsmassnahmen für diese Krise:

  1. Gott stillt durch ein paar Wunder den Durst und den Hunger.
  2. Es findet die grosse Standortbestimmung statt: Gott offenbart sich am Sinai und schenkt dem Volk Israel mitten in der Wüste das Geschenk, das das Judentum bis auf den heutigen Tag als das grösste Geschenk ansieht, das Gott der Menschheit je gemacht hat und machen konnte: Die Offenbarung des Gesetzes. Gleich wie das Wasser und das Manna ist dieses Gesetz Teil der Wegzehrung, die das Volk auf seiner Wüstenwanderung begleitet, und anschliessend ist es der grösste Schatz, den es mit ins gelobte Land nimmt.
  3. Und nun kommt zu dieser materiellen und geistlichen Grundversorgung noch ein Drittes hinzu: Die Hoffnung. Die Zusicherung der Gnade und Erlösung. Die Zusicherung Führung des Volkes nicht nur durch einen Mann wie Mose, sondern durch Gott selbst. Dieser dritte Punkt schliesst überraschend nahtlos an die Verkündigung des Gesetzes an und schliesst diese gewissermassen ab.

Diese Führung hat zwei Merkmale, nämlich den Schutzaspekt auf der einen und die Zielorientierung auf der andern Seite.

„Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, dich zu behüten auf dem Wege...“ Der Engel Gottes ist zunächst einmal ein Schutzengel. Diese Führung durch Gott können wir auch heute beanspruchen. Ich persönlich finde es gut und richtig, wenn wir täglich Gott um seinen Schutz und Beistand bitten. Auch im Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, ist diese Bitte in dreifacher Form enthalten:

- Gib uns heute, was wir für das Leben brauchen;

- Vergib uns unsere Schuld (wie auch wir unsern Schuldigern vergeben);

- Führe uns nicht in Versuchung.

Diese drei Bitten sind nichts anderes als die Bitten, dass Gott uns behüten möge auf unserem Lebensweg. Wie beim Manna: Bitte um das tägliche Brot, nicht um die langfristigen Vorräte!

 „Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, ... dich an die Stätte zu bringen, die ich bestimmt habe.“ Der Engel Gottes ist zum zweiten der Lotse, der uns ans Ziel führt. Auch in diesem Aspekt stimmt die Führung Gottes mit den modernen Managementtheorien überein. Neben der Fürsorge sind die Motivierung und Zielorientierung die wichtigsten Aspekte der Führung. Man könnte auch, wie dies Bundesrat Blocher zu tun pflegt, vom Auftrag sprechen, der mit der Zieldefinition vorgegeben ist.

Für mich persönlich hat dieser Text vor etwa ein, zwei Jahren, eine grosse Bedeutung erlangt. Er hat mir Ruhe gegeben. Er hat mich im Vertrauen gestärkt, dass Gott mich auch dann bewahren wird auf meinem Weg, wenn nicht alles rund läuft. Die Bewahrung, der Schutzengel, bedeutet nicht, dass alles so läuft, wie wir es gerne hätten. Aber Gott gibt uns mit seiner Führung das Grundvertrauen.  „Ich bin dessen gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Kräfte, weder Hohes noch Tiefes, noch irgendein andres Geschöpf uns zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unsrem Herrn.“ (Röm. 8,38-39). In diesem Vertrauen können wir leben und irgendwann, dann, wenn die Stunde schlägt, auch sterben. Der Text hat mich auch gestärkt, weil ich mich immer wieder fragte und auch heute immer wieder frage, was denn der Sinn und das Ziel meines Lebens sei. Einiges ist anders gelaufen, als ich mir dies vorgestellt habe. Aus unserem Predigttext nehme ich die Zuversicht, dass Gott mich an den Ort hin geleitet hat, den er für mich bereitgehalten hat. Damit will ich mich nicht als naiven Menschen outen. Selbstverständlich muss ich mich immer wieder fragen, ob ich in meiner Arbeit, in der Art, wie ich mit meiner Familie, mit meinen Freunden, mit meinen übrigen Aufgaben umgehe, am richtigen Ort sei und ebenso selbstverständlich muss ich gewisse Entscheide neu treffen oder korrigieren. Und dabei darf ich darauf vertrauen, dass ich die notwendigen Entscheide dank der Führung Gottes richtig treffen kann.

Damit ist bereits das heikle Thema angeschnitten, wie ich denn die Führung durch Gott überhaupt erkennen kann. Ich hatte in meinen bisherigen 51,5 Jahren Leben zwar manchmal den Eindruck, dass ein Engel vor mir hergeht, aber wenn ich als Zeuge darüber etwas hätte aussagen müssen, hätte ich das nicht gekonnt; es waren Gefühle und Eindrücke, aber nicht überprüfbare Wahrnehmungen. Ich habe auch noch nie die Stimme Gottes physikalisch gehört, sei es als Stimme oder sei es – wie bei Elia – durch einen leisen Windhauch. Ob wir einen Engel sehen, ob wir meinen, Gottes Stimme hören zu können, oder ob wir einfach beten und dann darauf vertrauen, dass Gott uns die richtige Weisheit und Vernunft und das richtige Herz gibt, damit wir unter seiner Führung leben können, ist meines Erachtens aber ein und dasselbe. In jedem Fall müssen wir kritisch prüfen, ob das, was wir als Wille Gottes wahrzunehmen glauben, auch tatsächlich der Wille Gottes sei. Und für diese Prüfung hat Gott uns alle unsere Fähigkeiten und Gaben geschenkt, die wir haben. Ich persönlich bin sehr kritisch und verstandesorientiert. Ich bitte Gott jeweils um seine Weisheit und Gnade und mache mich dann daran, mein Können und meinen Verstand und meine Lebenserfahrung einzusetzen, um Entscheide zu treffen. Gott hat uns zur Schärfung unseres Verstandes die Bibel als sein geoffenbartes Wort gegeben, das uns über seinen Willen aufklärt und er hat uns Menschen als Brüdern und Schwestern gegeben, die uns ebenfalls lehren können. Sehr oft sind es diese unsere Mitmenschen, die uns Gott als Engel schickt, um uns zu behüten und uns an die Stätte zu führen, die er für uns bestimmt hat. Es geht mir sehr oft so, dass ich erst im Nachhinein erkenne, wie Gott gnädig gewesen ist und mich durch schwierige Zeiten geführt hat. Und in solchen Momenten habe ich dann Grund zur Dankbarkeit.

Führen und geführt werden. Der Predigttext gibt uns Aufschluss, wie wir geführt werden durch Gott. Selbstverständlich  können wir das auch auf unser eigenes Führungsverhalten übertragen.

„Auf dem Weg behüten...“: das ist die Fürsorgepflicht für die Mitarbeitenden, ein wichtiger Teil des modernen Arbeitsrechts und selbstverständlich auch der aktuellen Managementtheorien. Ich denke, dass die Mitarbeitenden sehr schnell spüren, ob ein Vorgesetzter nur für sich selbst schaut oder ob er sich auch dafür verantwortlich fühlt, dass es seinen Mitarbeitern gut geht, soweit dies in seinem Einflussbereich liegt.

 „An die Stätte bringen, die ich bestimmt habe...“ das ist das Führen mit Zielen, wie es bei uns im Kanton nun verbindlich mit dem neuen Zielvereinbarungssystem eingeführt worden ist. In den Führungsausbildungen wird in diesem Zusammenhang gerne ein Diktum von Antoine de St. Exupéry zitiert: Wenn Du willst, dass Deine Leute ein Schiff bauen, genügt es nicht, wenn Du ihnen erklärst, wie sie das Material präparieren und zusammenbauen sollen. Du musst ihnen die Sehnsucht nach dem Meer geben.“ Die Bibel sagt das gleiche mit etwas andern Worten und mit einem klar definierten Ziel: „Suchet vielmehr zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles andere wird euch hinzu getan werden.“ (Math. 6,33) In diesem Wort von Jesus liegt liegt meines Erachtens das Geheimnis guter Führung.

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